Samstag, 8. Mai 2010

3 Die Pferdegesellschaft


Buden. Lichter. Volk

Alter Mann. Kind das tanzt:
Auf der Welt ist kein Bestand,
Wir müssen alle sterben,
das ist uns wohlbekannt.

WOYZECK: Hei, Hopsa's! - Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges Kind! Sorgen und Feste!

MARIE: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst ein Narr. - Komische Welt! Schöne Welt!

Beide gehn weiter zum Marktschreier.

MARKTSCHREIER vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem kostümierten Affen: Meine Herren, meine Damen, ist zu sehen das astronomische Pferd und die feinen Kanaillenvögele, sind Liebling von allen Potentaten Europas und Mitglied von allen gelehrten Societäten; weissagen den Leuten alles, wie alt, wie viele Kinder, was für Krankheit, schießt Pistol los, stellt sich auf ein bein. Alles Erziehung, haben eine viehische Vernunft, oder vielmehr eine ganze vernünftige Viehigkeit, ist kein viehdummes Individuum wie viele Personen, das verehrliche Publikum abgerechnet. Es wird sein, die Representation, das commencement vom commencement wird sogleich nehm sein Anfang.

Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Säbel! Der Aff ist Soldat; s' ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuß! - Er trompetet: Michel ist musikalisch.

Sehen Sie die Fortschritte der Civilisation. Alles schreitet fort, ein Pferd, ein Aff, ein Canaillenvogel. Der Aff' ist schon ein Soldat, 's ist noch nit viel, unterst Stuf von menschliche Geschlecht!

Die Rapräsentation anfangen! Man mackt Anfang von Anfang. Es wird sogleich sein das Commencement von Commencement.

WOYZECK: Willst Du?

MARIE: Meinetwegen. Das muß schön Dings sein. Was der Mensch Quasten hat! Und die Frau Hosen!

Beide gehn in die Bude.

TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild!

UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von Kürassierregimentern!

TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von Tambourmajors!

UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf trägt! Man meint, das schwarze Haar müßt' sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen schwarz

TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein hinunter guckt. Fort, hintendrein! -

Das Innere der hellerleuchteten Bude

MARIE: Was Licht!

WOYZECK: Ja, Marie, schwarze Katzen mit feurigen Augen. Hei, was ein Abend!

DER BUDENBESITZER ein Pferd vorführend: Zeig' dein Talent! Zeig deine viehische Vernünftigkeit! Beschäme die menschliche Sozietät! Meine Herren, dies Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seine vier Hufe, ist Mitglied von alle gelehrten Societäten, ist Professor an unsre Universitäten, wo die Studenten bei ihm reiten und schlagen lernen. - Das war einfacher Verstand. Denk jetzt mit der doppelten Raison! Was machst du, wann du mit der doppelten Raison denkst? Ist unter der gelehrten Société da ein Esel? - Der Gaul schüttelt den Kopf. - Sehn Sie jetzt die doppelte Raison? Das ist Viehsionomik. Ja, das ist kein viehdummes Individuum, das ist ein Person, ein Mensch, ein tierischer Mensch - und doch ein Vieh, eine Bête. - Das Pferd führt sich ungebührlich auf. - So, beschäme die Société! Sehn Sie, das Vieh ist noch Natur, unverdorbene Natur! Lernen Sie bei ihm! Fragen Sie den Arzt, es ist sonst höchst schädlich! Das hat geheißen: Mensch, sei natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck? - Sehn Sie, was Vernunft: es kann rechnen und kann doch nit an den Fingern herzählen. Warum? Kann sich nur nit ausdrücken, nur nit explicieren, ist ein verwandelter Mensch! Sag den Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den Herren und Damen hat ein Uhr? ein Uhr?

UNTEROFFIZIER: Eine Uhr? - Zieht großartig und gemessen eine Uhr aus der Tasche: Da, mein Herr!

MARIE: Das muß ich sehn. - Sie klettert auf den ersten Platz; Unteroffizier hilft ihr.

TAMBOURMAJOR: Das ist ein Weibsbild.

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